Das zweite Buch mit Geschichten für Katzenliebhaber und ihre Freunde.
DER ABSCHNITT:
Checkpoint Charlie
Vom Kinderspielplatz kam eine dunkelhaarige Frau auf sie zu und Else lächelte sie an. „Gehört dieser Kater Ihnen?“
fragte sie, obwohl es ihr unwahrscheinlich schien. „Ich habe ihm ein bisschen was zu fressen gegeben und jetzt will er wohl nicht mehr weg.“
„Der gehört keinem. Vor ein paar Wochen ist er hier aufgetaucht und jetzt wird er von einigen Leuten gefüttert, also bleibt er einfach da…“, die Frau zuckte mit den Schultern, „aber ich bin nicht wirklich begeistert, weil er sich nämlich mit meinen Katzen anlegt. Die sind immer im Hinterhof unterwegs gewesen, aber seit dieser Killer hier rumstreunt, lass ich sie gar nicht mehr raus. Am Ende fangen sie sich noch was ein.“
„Er sieht wirklich schlecht aus.“ Else streichelte den Kater. „Er braucht wohl einen Arzt. Vielleicht muss er auch kastriert werden. Dann würde er sich auch nicht mehr rumbalgen.“
Die Frau schüttelte den Kopf. „Also ich bring den nirgendwo hin. Ich hab nämlich zwei kleine Kinder.“ Sie wies in Richtung Spielplatz. „Ich schaff es ja noch nicht mal, mir die Haare zu waschen! Und dass irgendein Nachbar… also das bezweifel ich.“
Else nickte und fuhr fort, den Kater zu streicheln.
„Jemand hat ihn angeblich gesehen, wie er aus dem Osten über den Checkpoint Charlie gelaufen kam“, merkte die Frau noch an und lehnte sich an das Gerüst zum Teppichausklopfen, das sich direkt vor Elses Fenster befand. „Aber Sie kennen das: die Leute reden viel, wenn der Tag lang ist. Ich glaube ja, dass da ohne Genehmigung noch nicht mal ’ne Maus durchkommt.“
„Vielleicht stimmt es ja.“ Es hätte Else gefallen, wenn es wahr gewesen wäre. Wenn wenigstens die Katzen ungehindert in ganz Berlin hätten herumspazieren können.
„Ja, vielleicht stimmt es.“ Die Frau lachte. „Mein Mann sagt, dass ein so hässlicher Kater wirklich nur aus dem Osten kommen kann.“
Else wollte nicht zugeben, dass sie selbst aus dem Osten kam, obgleich das früher oder später sowieso herauskäme. „Ich finde ihn süß. Und klug. So würdevoll… Wenn er ein Mensch wäre, dann mindestens ein Herr Ingenieur. Oder eher noch ein Herr Doktor.“
„Na, dann nehmen Sie Ihren Herrn Doktor doch zu sich nach Hause!“
„Das würde ich ja sofort, wenn…“
„Sie sind die neuen Mieter von den Schneiders, was? Wir wohnen gleich da drüben, oberster Stock.“
„Nein, wir sind nur zu Besuch da.“
„Dann nehmen Sie ihn eben, wenn Sie wieder heimfahren, mit nach Hause. Wollen Sie nicht?“ Der Frau war anzusehen, dass ihr ein Stein vom Herzen fiele, würde dieser Kater endlich aus ihrem Hinterhof verschwinden.
Else seufzte. Es war zwecklos vorzugeben, jemand anderes zu sein. „Das wird kaum gehen. Ich weiß nicht, ob man Tiere einfach so über die Grenze schaffen darf. Eigentlich sind wir nämlich aus Leipzig und nur für zehn Tage hier. Außerdem scheint dieser Kater irgendwie krank zu sein, und deshalb glaube ich nicht…“
Die Frau wurde rot. „Mein Gott, Verzeihung!“
„Aber nicht doch.“
„Ich muss nach den Kindern sehen.“
„Natürlich.“ Else streckte ihr die Hand hin. „Ich hab Sie gern kennengelernt. Ich heiße Else.“
„Christiane.“
„Und der hier“, fügte Else hinzu und streichelte den Kater, „der heißt ab heute Charlie. Mal sehen, was ich für ihn tun kann.“